Säulenreihe
Januar 27, 2017

Interview mit Wolfgang Crimmann: Der Beleihungswert in Deutschland

Der Beleihungswert in Deutschland, Fels in der (Immobilien-)Brandung: Wir haben Wolfgang Crimmann, Experte für die Bewertung von Immobiliensicherheiten in Deutschland, getroffen. 

Wolfgang CrimmannZur Person:
Diplom-Kaufmann (FH) Wolfgang Crimmann beschäftigt sich seit 1990 intensiv mit dem Thema Bewertung von Immobiliensicherheiten. Seit rund 20 Jahren veröffentlicht er als Autor und Co-Autor zahlreiche Werke zum Thema Beleihungswert: erst im Oktober 2016 erschien die 4. Auflage von „Der Beleihungswert“ als Band 55 der vdp Schriftenreihe.
Crimmann weist über 30 Jahre Berufserfahrung in Führungspositionen bei Banken auf. Unter anderem war er Vorstand einer Genossenschaftsbank und Bereichsleiter in einer großen Pfandbriefbank. Heute ist er Geschäftsführer der Firma I&C Immobilienanalyse und Consulting Beteiligungsgesellschaft mbH. Außerdem ist er zertifizierter Immobiliengutachter für finanzwirtschaftliche Zwecke und Markt- und Objekttraining (CIS HypZert [h. c.]).

Herr Crimmann, Sie sind der Experte, wenn es um den Beleihungswert geht und beobachten dessen Entwicklung schon sehr lange. Welche Bedeutung hat der Beleihungswert in Deutschland?

Die erste Fassung des Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli 1899 enthielt bereits in § 12 Vorschriften zu einem nachhaltigen Wert, dem sogenannten „Verkaufswerth“. Der Beleihungswert besitzt eine lange Tradition in Deutschland. Zusammen mit der herkömmlichen Langfristfinanzierung hat er nachweislich einen wesentlichen Beitrag zu relativ stabilen Immobilien- und Finanzierungsmärkten geleistet.

Warum ist das Konzept des Beleihungswertes ein so großer Erfolg und wie wird er sich weiter entwickeln?
Der Beleihungswert ist eng mit der Emission von Pfandbriefen verbunden. Er wird in der Fortführung des § 12 Hypothekenbankgesetz nun in § 16 des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) beschrieben. Ebenfalls ist in § 16 PfandBG die Anforderung enthalten, durch Rechtsverordnung Einzelheiten der Methodik und Form der Beleihungswertermittlung sowie die Mindestanforderungen an die Qualifikation des Gutachters zu bestimmen. Die Umsetzung dieser Anforderung erfolgte im Rahmen der sogenannten Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV), die nunmehr seit mehr als 10 Jahren in Kraft ist.
Der Beleihungswert ist als ein nachhaltiger Wert konzipiert, der erfahrungsgemäß unabhängig von vorübergehenden, etwa konjunkturell bedingten Wertschwankungen am maßgeblichen Grundstücksmarkt und unter Ausschaltung von spekulativen Elementen während der gesamten Dauer der Beleihung bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielt werden kann.
Ein nachhaltiger Wert dient dem Schutz des Pfandbriefgläubigers ebenso wie dem Schutz des Gläubigers eines Finanzierungsinstitutes. Schließlich dient ein im Ergebnis nachhaltiger Wert auch den Interessen des Darlehensnehmers. Dieser sollte vor allem in schwierigen Zeiten durch Verkauf der Immobilie in der Lage sein, das ausstehende Darlehen zurückzahlen können.
Das Konzept eines nachhaltigen Wertes für Beleihungszwecke hat auch im Europäischen Raum und sogar darüber hinaus Anerkennung und Beachtung gefunden. Nicht zuletzt wurde in die Europäische Verordnung zur Bemessung der Eigenmittelunterlegung, der sogenannten Capital Requirements Regulation (CRR), der Beleihungswert neben dem Marktwert fest verankert.
Eigentlich sollte bereits Ende 2014 ein technischer Regulierungsstandard (RTS) im Entwurf vorliegen, der die strengen Kriterien für die Bemessung des Beleihungswertes präzisiert. Wann dieser Standard kommt und inwieweit er die BelWertV ersetzt bzw. diese anzupassen wäre, ist derzeit ungewiss. Im Gegensatz zu anderen Europäischen Staaten besitzt Deutschland mit der BelWertV eine Verordnung, die die Methodik der Beleihungswertermittlung regelt. Diese bildet für die Institute bereits heute eine sichere Handlungsgrundlage, die es ermöglicht, den Neuerungen auf europäischer Ebene gelassen entgegenzusehen.

Welche Bedeutung messen Sie der BelWertV im aktuellen Marktumfeld zu? Und wo wird es hingehen aus Ihrer Sicht?
Das aktuelle Marktumfeld ist maßgebend durch die Niedrigzinspolitik der EZB geprägt. Anlagerisiken werden nicht mehr durch adäquate Risikoprämien honoriert. Dies spiegelt sich auch im Immobilienmarkt wider. Preise für Immobilien sind bis in B- und jüngst auch in C-Lagen durch relativ hohe Vervielfältiger gekennzeichnet, die wiederum die Folge von niedrigen Zinsen oder gar Nullzinsen anderer, konkurrierender Anlageformen sind.
Natürlich stellt sich die Frage, was passieren mag, wenn die Niedrigzinspolitik beendet wird. In den USA scheint dies zumindest in kleinen Schritten Realität zu werden. In Zeiten hoher, vielleicht sogar zu hoher Immobilienpreise ist es daher nicht von der Hand zu weisen, dass aus Risikosicht die Differenz zwischen Marktwerten und Beleihungswerten größer sein sollte, als in Zeiten absolut niedriger Immobilienpreise.
Die Vorschriften der BelWertV zielen nicht auf einen exakten Stichtagswert, sondern auf einen möglichst sicheren, nachhaltigen Wert, der auch der Risikobegrenzung dient. Dieser Wert ist durch die BelWertV von aufsichtsrechtlichen Vorgaben geprägt und damit regelbasiert. Ihre Ausprägung finden diese Vorgaben in Form von Bandbreiten, Höchst- und Untergrenzen, methodischen Vorgaben, Sicherheitsabschlägen und der Berücksichtigung möglicher Risiken, wie z. B. das Modernisierungsrisiko. Die Berücksichtigung dieses Risikos dient der Absicherung des nachhaltigen Mietausgangsniveaus und damit der nachhaltigen Ertragsfähigkeit für die geschätzte Restnutzungsdauer (RND) der baulichen Anlagen.
Neben der vorsichtig einzuschätzenden RND, für die Bandbreiten in der BelWertV vorgegeben wurden, dem Modernisierungsrisiko und einer nachhaltigen Miete ist der Kapitalisierungszins ein wichtiger Bewertungsparameter. Er dient der Berücksichtigung des jeweiligen Ertrags- und Verkaufsrisikos eines Beleihungsobjektes. Je höher das Risiko, umso höher ist der Kapitalisierungszins in Ansatz zu bringen. Hierfür sind von der Aufsicht Untergrenzen in Höhe von 5 Prozent für wohnwirtschaftliche und 6 Prozent für gewerbliche Nutzung in der BelWertV vorgeschrieben.
Diese Untergrenzen sind, vor allem in Ballungsräumen, weit entfernt vom heutigen aktuellen Marktgeschehen. Nicht zuletzt verursachen diese Untergrenzen etwa bei Renditeobjekten mit wohnwirtschaftlicher Nutzung einen großen Abstand zwischen Markt- und Beleihungswert.
Mit diesem aufgezeigten aufsichtlich geprägten „Parametermix“ wird ein Großteil der aktuellen Preissteigerungen in der Beleihungswertermittlung nicht nachvollzogen. Das führt natürlich auf der einen Seite zu Ungemach, auf der anderen Seite wird damit auch deutlich, wie weit sich die derzeitige Wertentwicklung von den bisherigen Erfahrungswerten, die die aufsichtlichen Regeln der BelWertV reflektieren, entfernt hat. Unterm Strich wird damit jedoch einem vorsichtigen Wertansatz für Beleihungszwecke Rechnung getragen.
Wo die derzeitige, überwiegend durch die Niedrigzinspolitik geprägte Entwicklung, tatsächlich hinführt, ist schwer vorauszusagen. An Erfahrungen aus der Vergangenheit mangelt es diesbezüglich. Vorsicht ist daher kein schlechter Ratgeber.

Viele Banken schrecken vor einer Umstellung auf die BelWertV noch zurück. Wieso? Bzw. warum gehen viele Banken noch sehr zaghaft mit dem Thema um?
Für Zwecke der Eigenmittelunterlegung nach CRR kann nach der Solvabilitätsverordnung (SolvV) nach wie vor zwischen zwei unterschiedlichen Werten gewählt werden. Das ist nach § 22 SolvV der Wert nach BelWertV und ein anders zu ermittelnder nachhaltig erzielbarer Wert, der den Anforderungen des § 16 Absatz 2 Satz 1 bis 3 des Pfandbriefgesetzes genügt. Die Anwendung des letztgenannten Wertes fällt nach § 38 SolvV allerdings weg, sobald der bereits für den Beleihungswert erwähnte technische Regulierungsstandard (RTS) nach CRR anzuwenden ist.
Warum Banken mit dieser Thematik zögerlich umgehen, entspringt vor allem dem Missverständnis, dass der sog. andere Wert gegenüber der BelWertV Vorteile hinsichtlich der Funktionstrennung, der Unabhängigkeit und auch der Besichtigung biete. Das ist jedoch leider nicht der Fall. Die BelWertV ist im Ergebnis eine Zusammenfassung der früheren Rundschreiben und Auslegungen zur Anwendung des § 12 Hypothekenbankgesetz. Solange die BelWertV in einem Institut keine Anwendung findet, gelten die vor der BelWertV gültigen Regelungen, die wie erwähnt in der BelWertV zusammengefasst wurden.
Darüber hinaus heißt es in einem Protokoll des Arbeitskreises Bankenaufsicht zur damaligen SolvV aus der Sitzung vom 19.3.2009 u. a. sinngemäß:
… ein anderer Wert muss eine mindestens so konservative Bewertung sicherstellen wie der Beleihungswert…
Gerne stehen wir den Banken bei dieser Fragestellung aber auch zur Pfandbriefrefinanzierung mit Rat und Tat zur Seite.

Gibt es aus Ihrer Sicht aktuell eine stärkere Tendenz zur Pfandbriefbank?
Insgesamt führt die erwähnte Niedrigzinspolitik beim Anleger nicht zu der Bereitschaft, vorhandene Einlagen mit langen Laufzeiten zu binden. Auf der anderen Seite suchen Immobilienkäufer in der Regel nach langfristigen Finanzierungen mit möglichst langen Zinsbindungen, um das niedrige Zinsniveau so lange wie möglich nutzen zu können.
Die Kundeneinlagen der Banken sind von sehr kurzfristigen Laufzeiten geprägt, während die grundpfandrechtlich besicherten Darlehen auf der anderen Seite sehr lange Zinsbindungen und Laufzeiten aufweisen.
Diese Lücke zwischen kurz und lang gilt es mittelfristig zu reduzieren. Hierzu ist die Emission von Pfandbriefen ein geeignetes Mittel. Institutionelle Investoren müssen ihre liquiden Mittel auch in lange Laufzeiten binden. Für sie gilt der Pfandbrief als geeignete, sichere Anlage. Neue Emittenten sind im Kapitalmarkt auch wegen der Streuung des Risikos daher willkommen.

Sind aus Ihrer Sicht Geodatenanbieter eine gute und nachhaltige Ergänzung zum eigentlichen Gutachter?
Geodatenanbieter ersetzen nicht den Gutachter, sie unterstützen ihn bei seiner Arbeit. Der Gutachter muss eigenverantwortlich und kritisch mit den ihm zuglieferten Daten umgehen und zeichnet letztlich für das Ergebnis des Gutachtens verantwortlich. Die BelWertV schreibt unter § 1 „Anwendungsbereich“ vor, dass bei der Erhebung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten die Vorschriften der BelWertV anzuwenden sind.

Was ist neu an der 4. Auflage von „Der Beleihungswert in Deutschland“?
Hierzu kann ich an dieser Stelle nur einen punktuellen Überblick geben:
Es wurden insgesamt zahlreiche Überarbeitungen, Ergänzungen und Klarstellungen vorgenommen.
Unter anderem wurden unter dem Thema „Wertbegriffe“ die Definitionen zu Beleihungswert und Marktwert aus der europäischen Verordnung, der CRR, ergänzt. Außerdem waren umfangreichere Ergänzungen und Änderungen beim Thema „Gutachten und Gutachter“ erforderlich. Der Unterschied zwischen Markt- und Beleihungswert etwa wurde noch detaillierter hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung geldwerter Rechte herausgestellt. Es erfolgte darüber hinaus eine klarere Abgrenzung zwischen dem Wert der Sicherheit und dem Wert der Immobilie.
Im gleichen Kapitel wurde ein Vorschlag zur Ermittlung von „unsichtbaren Belastungen“ wie Grundsteuer, Anliegerkosten und Ansprüche aus laufenden Beiträgen zu Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums unterbreitet. Dieser Vorschlag erfolgte auch mit Blick auf die neuen Vorschriften, die aus der Wohnimmobilienkreditrichtlinie stammen.
Beim Kapitel über die Ermittlung nachhaltiger Mieten wurden kurze Ausführungen zur Kappungsgrenze, Mietpreisbremse und zu Auswirkungen auf die Beleihungswertermittlung eingefügt.
Schließlich wurden Anpassungen zur Behandlung von Umsatzsteuer im Rahmen der Beleihungswertermittlung erforderlich, die sich auf den speziellen Fall der Umsatzsteueroption beziehen.
Im Kapitel 9 ergaben die Ausführungen zu Marktanpassungen bei der Ermittlung des Sachwertes Anpassungsbedarf, der sich aus der aktuellen aufsichtlichen Behandlung dieses Themas ergeben hatten.

Vielen Dank für den ausführlichen Einblick, Herr Crimmann!

Das Interview ist in der neuen Ausgabe des Banken-Magazins Vorsprung erschienen. Lesen Sie hier die ganze Ausgabe.

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